Samstag, 31. Januar 2009

Ein Zustand der Rückständigkeit des Westerwaldes ist zu beenden

Wenn man sich durch eine Landschaft bewegt, zu der es keine geschriebene Baugeschichte gibt, nur einige Marginalien zu den wenigen Sakralbauten, Burgruinen, Schloßbauten und zu einigen wenigen Stadthäusern oder zu bestimmten Bauernhäusern in der heimatkundlichen Literatur, oder nur spärliche Hinweise auf die alten Mühlen der Region und ihre Betreiber vor sich hat, fragt man sich, wie sich eine solche Kulturlandschaft baugeschichtlich erschließen läßt. Die Region hat wenig von dem, was üblicherweise Thema einer Baugeschichtsschreibung ist. Bauten, welche das Bauen insgesamt voranbrachten, wird man hier kaum finden. Trotzdem sollte das, was die jahrhundertelange Bautätigkeit als Kulturleistung erbracht hat, zu einer Erklärung gelangen. Aber wie läßt sich das angehen?

Die regionalen Archive sind schlecht ausgestattet, bergen aber mehr, als man denkt. Eine systematische Plansammlung von Gebäuden wurde nie aufgebaut. An ein Architekturarchiv wurde nie ein Gedanke verschwendet. Ganz im Gegenteil: große Mengen an Bauakten wurden in den Behörden einfach vernichtet. Meine ersten Befragungen in privaten Haushalten, was sie noch zu ihren Bauten an Planunterlagen haben, gaben Anlaß zur Hoffnung, daß sich noch einiges rekonstruieren läßt. Ein Anfang dazu wurde gemacht.

Sobald die Sonne scheint und das Wetter halbwegs ausgeglichen wirkt, wanderte ich aus der Kleinstadt, in der ich Unterkunft habe, zu den Dörfern und fotografierte jedes Haus, jedes Gebäude, jeden interessanten Landschaftsausschnitt. Daselbe hatte ich schon mit allen Gebäuden der Kleinstadt getan, in der ich lebe. Manche halten mich für verrückt, andere packt die Angst, ich sei Einbrecher, der seinen nächsten Raubzug plant. Es gibt Leute, die mir streng untersagen, ihr Haus zu fotografieren. Ich fotografiere es trotzdem vom öffentlichen Raum aus. Das darf jeder Tourist. Ich werde befragt, warum ich das mache. Die Idee, jemand wolle die Gebäude ihres Dorfes oder ihrer Kleinstadt fotografieren, um dieses Material baugeschichtlich auszuwerten, kommt ganz ungewohnt daher. Man hatte selten einen Gedanken daran verschwendet, sich die Mühe zu machen, der Geschichte der Bauwerke nachzugehen. Aber es gibt auch die hilfreichen Leute, die Hinweise zu ihren Bauten geben und sich darüber freuen, daß sich endlich jemand um die Bauten der Dörfer und kleinen Städte kümmern will. Meist haben sie selbst schon Versuche unternommen, Material zu recherchieren. In jedem Dorf gibt es einzelne Enthusiasten, die der Geschichte des Dorfes nachgehen.

Es gibt Bildbände zum Westerwald, bunte Hefte, die als Reiseführer Anreize geben sollen, den Westerwald zu erkunden. Daneben bestehen Periodika der Heimatkundler, die Anekdoten zu Dorfbewohnern zu berichten haben. Manchmal finden sich Aufsätze zu den untergegangenen Mühlen, zu Brauereien oder zu Gebäuden, die aufgrund anderer Wirtschaftsformen entstanden. Eine geschriebene Baugeschichte für die Region gibt es jedoch nicht. Aber es finden sich durchaus vereinzelte Texte, die sich zu einer Baugeschichte heranziehen lassen.

Der Typus des sogenannten Westerwälder Bauernhauses, den die Schulkinder im Heimatkundeunterricht als Lernstoff für eine regional typische Bauanlage verinnerlichen mußten, fand in einem Aufsatz eine kritische Würdigung. Es handelt sich um eine Bauanlage aus einem schmalem Wohnteil, an den eine Stallung und eine Scheune in gleicher Dachhöhe und Gebäudebreite angefügt ist, sodaß sich ein langgestrecktes schmales Bauernhaus darbietet. Diesem hat man an der Wetterseite, das ist der Westen, aus dem die meisten Regenfälle anfallen, in der Regel am Wohnteil des Hauses manchmal einen kleinen niedrigen Anbau angefügt und dabei das Hauptdach mit geringerer Neigung über den Anbau verlängert. Man tat das so in einer Notzeit, als das Bäumefällen eingeschränkt war, da die Wälder zugrunde gerichtet waren. Es durften eine Zeit lang keine großen Fachwerkbauten mehr errichtet werden, weil sich die Wälder erholen mußten. Man behalf sich, lange ist es her, mit kleinen Anbauten. Die Heimatkundler hatten diesen Gebäudetypus mit niedrigem Anbau als typisch für die Region stilisiert, noch nicht wissend, daß er nur eine baugeschichtliche Phase der Bauernhöfe im Westerwald darstellt. Denn die Bauernhöfe sind durchaus sehr verschieden in ihrer Gestalt. Die Stilisierung dieser Bauernhofform zum typischen Westerwälder Bauernhaus führte jedoch dazu, daß spätere Neubauten von Wohnhäusern in den Dörfern und Kleinstädten, aber auch neue Bauernhäuser so aussehen sollten wie das angeblich typische Westerwälder Bauernhaus.


Der Typus wurde auf diese Art und Weise fortgeschrieben in eine Zeit hinein, in der mit ganz anderen Baustoffen gebaut wurde und die aufgekommene Forstwirtschaft schon lange für eine ausgeglichene Bilanz der Anpflanzung und Abholzung der Wälder des Westerwaldes gesorgt hatte. Aber diese Hausgestalt ist nicht typisch für die Region. Sehr viele Gebäudetypen bestehen nebeneinander.

Die Kleinstädte des Westerwaldes waren Ackerbürgerstädte. Wer aufmerksam durch diese Städte wandert, entdeckt noch Bauernhöfe. Nach dem 2.Weltkrieg setzte jedoch die Verdrängung dieser Bauten ein. Manchmal nahm die Zerstörung der Erinnerung an diese Zeit der Bauernhöfe in der Stadt groteske Formen an. Montabaur ist dafür ein gutes Beispiel. Das im Stadtarchiv gesammelte historische Fotomaterial läßt den Umfang des Stadtumbaus deutlich werden. Doch ist es inzwischen um die Bauernhöfe in den Dörfer genauso schlecht bestellt. Nur noch einzelne Höfe sind in Betrieb. Die Bauten der ehemaligen Bauern veränderten ihr Gesicht. Große Scheunentore verschwanden, Stallungen wurden zu Wohnungserweiterungen genutzt. Auch hier wird Erinnerung gelöscht. Kaum noch etwas will auf die alten Wirtschaftsformen verweisen. Den Dörfern tut das nicht gut. Ihre Dorfkerne sehen merkwürdig verfremded aus, um sie herum breiten sich Neubaugebiete aus. Man muß sehr lange solche Dörfer begehen, damit das, was sich dem Auge bietet, seine Schönheiten preisgibt. Ob er nun häßlich aussieht oder nicht, jeglicher Bau verlangt nach einer Erklärung. Diese sollte gegeben werden. Eine regionale Baugeschichtsschreibung ist zu entfalten.

Die Masse der Fotos solcher Bauten, aus denen die kleinen Städte und Dörfer bestehen, läßt sich ordnen. Es wird hilfreich sein, wenn eine digitale Datensammlung zu jedem dieser Gebäude entsteht, aus der die ursprüngliche Erbauungszeit, die Zeiten späterer Umbaumaßnahmen und die jeweiligen Baumeister und Architekten hervorgehen. Auch wird es nützlich sein, wenn die Motive bekannt werden, warum so und auf diese Weise gebaut wurde. Baupläne der Häuser sollten auffindbar sein. Nur selten sind solche Archivalien vorhanden. Man muß sich die Mühe machen, von Haus zu Haus zu gehen, um die Bewohner und die Hauseigentümer zu befragen. Man kann in den Archiven des Kreises und der Gemeinden nach Archivalien suchen, findet aber eher wenig. Vieles, das noch vorhanden ist, wird einem vorenthalten, weil es Mühe macht, die Bauunterlagen herauszusuchen oder so aufzubereiten, daß sie ausgewertet werden können. Es gilt umfangreiche Vorbereitungen zu treffen, baugeschichtlich relevantes Material zu gewinnen und Ordnungskriterien zu entwickeln, um eine regionale Baugeschichtsschreibung leisten zu können.

Sich dem Kulturraum des Westerwaldes anzunähern, um ihn baugeschichtlich zu erschliessen, bedeutet zugleich, vom Westerwald zu lernen. Das Lernpensum ist groß, der Lernstoff umfangreich, vielseitig und interessant. Der Zeitaufwand, der betrieben werden muß, um zu lernen, ist groß. Aber es muß getan werden. Widerstände kommen von außerhalb. Es gibt viele, die sagen, das lohne sich nicht. Das erschwert die Sinngebung des eigenen Handelns. Aber bei jedem Dorf, das fotografiert wurde, und bei jeder Stadt, deren Häuser festgehalten werden, spricht aus dem gesammelten Material heraus, es wolle erschlossen werden. Und tatsächlich ist es so. Die Bauten werfen die Frage auf, warum sie so entstanden. Auf diese Frage ist nach Antwort zu suchen. Eine Erforschung der Baugeschichte des Westerwaldes ist zu beginnen und in jeglicher Hinsicht zu unterstützen. Aber genau daran fehlt es im Westerwald, der, was die Baugeschichte betrifft, ein überaus rückständiges Gebiet ist. Er bietet den Menschen dieser Landschaft noch kaum etwas, um die Gebäude in ihrer Region gut zu verstehen.

Karl-Ludwig Diehl
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Virtuelle Universität für das Bauwesen
http://vub-virtuelleuniversittfrdasbauwesen.blogspot.com/
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